BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [DE]

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Rechtsquellen:

GG Art. 7 Abs. 4

Stichworte:

Privatschulfreiheit; Ersatzschulbegriff; Erziehungsziel als Lehrziel im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG; Einbezug methodischer und organisatorischer Rahmenbedingungen des Unterrichts in die Prüfung der Ersatzschulgenehmigung; Maßstäbe der Genehmigungsprüfung; monoedukative Privatschulen.

Leitsatz:

1. Die Ersatzschuleigenschaft bestimmt sich primär anhand äußerer Strukturmerkmale wie insbesondere der Schulform sowie der Art und Dauer des Bildungsgangs. Pädagogisch-konzeptionelle Gegebenheiten sind in die Prüfung der Ersatzschuleigenschaft nur dann einzubeziehen, wenn die Privatschule im Hinblick auf äußere Strukturmerkmale von den im öffentlichen Schulwesen vorhandenen oder grundsätzlich vorgesehenen Typen abweicht (Klarstellung gegenüber BVerwG - Urteil vom 18. Dezember 1996 - BVerwG 6 C 6.95).

2. Die Vorgabe des Erziehungsziels der Verinnerlichung der Gleichberechtigung der Geschlechter durch die Schüler liegt innerhalb der staatlichen Bestimmungsmacht gegenüber Ersatzschulen und darf daher in die Prüfung der Gleichwertigkeit hinsichtlich der Lehrziele nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG einbezogen werden. Dies schließt nicht die Befugnis ein, der Ersatzschule die Vermittlung praktischer Alltagsfertigkeiten wie der Fähigkeit zu einem unbefangenen Umgang mit Angehörigen des anderen Geschlechts oder die Vermittlung materieller Leitbilder zum Geschlechterverhältnis jenseits des Postulats der Gleichberechtigung der Geschlechter abzufordern. Die staatliche Bestimmungsmacht gegenüber Ersatzschulen in Erziehungsfragen ist auf das beschränkt, was als Wert- und Ordnungsvorstellung schon kraft verfassungsrechtlicher Vorgaben, mindestens aber aufgrund eines allgemein für verbindlich erachteten gesellschaftlichen Minimalkonsenses zweifelsfrei nicht Gegenstand legitimer abweichender Betrachtung sein kann.

3. Rechtfertigt eine bestimmte Methode oder Organisationsmodalität des Unterrichts wegen der hiervon ausgehenden Wirkung auf die Schüler den Schluss, dass ein der Ersatzschule verbindlich vorgegebenes Erziehungsziel nicht erreicht werden kann, steht diese im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG hinter öffentlichen Schulen zurück. Eine dahingehende Einschätzung der Schulbehörde hat jedoch mit Blick auf die von der Privatschulfreiheit umfasste Freiheit der Methoden- und Formenwahl nur dann Vorrang vor einer gegenteiligen Einschätzung des privaten Schulträgers, wenn sie sich auf einen im Wesentlichen gesicherten, in der Fachwelt weitgehend anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisstand stützen kann.

4. Der private Schulträger ist gehalten, bei Beantragung einer Ersatzschulgenehmigung sein Konzept vorzustellen und hierbei in Grundzügen zu skizzieren, welche pädagogischen Überlegungen er mit solchen Eigenarten der Schule verbindet, mit denen er von staatlichen Standards abzuweichen beabsichtigt.

5. Die Genehmigung einer Privatschule als Ersatzschule darf nicht allein wegen ihrer monoedukativen Ausrichtung versagt werden.


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